O-U-T N-O-W

Ab sofort ist »H-O-T Histories Of Tomorrow« u.a. in den folgenden Berliner Buchläden erhältlich; ANALOG CONCEPT STORE, BUCHBOX, BUCHHANDLUNG MORITZPLATZ, BÜCHERBOGEN SAVIGNYPLATZ, DO YOU READ ME?!, PARKHAUS BERLIN, PRO QM und SODA BOOKS Berlin & MÜNCHEN. In Hamburg bei GUDBERG NERGER. In Leipzig bei CONNEWITZER VERLAGSBUCHHANDLUNG & WÖRTERSEE. Für Online-Bestellungen steht das Magazin auf SLANTED.DE zur Verfügung.

Abbildung: Maria-Christina Piwowarski vom OCELOT not just another bookstore und »H-O-T Histories Of Tomorrow«

R-E-L-E-A-S-E

Die erste Ausgabe von "H-O-T Histories Of Tomorrow" ist erschienen & wir laden euch alle zu einem kleinen Aperitif ein. Autoren, Fotografen & Illustratoren der ersten Ausgabe werden anwesend sein & wir freuen uns auf inspirierende Gespräche, konstruktive Kritik & natürlich alle, die eine Ausgabe kaufen.-) Wir feiern in den neu eröffneten Pirol Studios Berlin, wo Designer, Künstler, Historiker, Berater, Architekten & Soziologen zusammenarbeiten.⁠

Freitag, 15. November 2019 von 19:00 bis 22:00 Uhr, Pirol Studios, Bülowstraße 56, 10783 Berlin @pirol_studios⁠

MEHR ALS AUSGEDRUCKTES INTERNET

Von Lars Radau, Journalist Das Medien-Magazin, 4. November 2019

Die Designer Raban Ruddigkeit und Lars Harmsen haben aus dem Netz ein Magazin zusammengestellt, das sie selber gerne hätten. Die Hauptzutat: Haltung.

Eigentlich, sagt Raban Ruddigkeit, sei ja der Facebook-Algorithmus verantwortlich. Genauer: sein durch seine Likes, Shares, gespeicherte Inhalte und Aufrufe selbst konfigurierter Facebook-Stream. Dazu Inhalte aus anderen sozialen Medien – Instagram, Twitter –, aber auch von Webseiten, Blogs und aus Podcasts – fertig ist »H-O-T Histories of Tomorrow«, ein elegant layoutetes und auf feinem Papier gedrucktes Magazin, das der renommierte Gestalter und sein Partner Lars Harmsen im Oktober auf den Markt gebracht haben. Dabei, und darauf legt Ruddigkeit großen Wert, sei das 100 Seiten starke Heft weder »einfach nur ausgedrucktes Internet« noch spiegele es ausschließlich seine eigene Filterblase wider. »Wir haben aus den unterschiedlichsten Ecken des Netzes die verschiedensten Leute zusammengeholt«, sagt der 51-Jährige, der auch Mitglied des Art Directors Club war. Sie und ihre Texte sollen »unsere Gewohnheiten herausfordern, unsere Gewissheiten hinterfragen und unsere Gedankengebäude ins Wanken bringen«, heißt es im Editorial.

Und auch wenn auf dem leuchtend gelben Cover prominent der Begriff »Spaltung« prangt, geht es im Heft vor allem um Haltung. Die zeigt sich in den unterschiedlichen Situationen und aus den unterschiedlichen Perspektiven, unter anderem der der Kolumnistin und Sexarbeiterin Salomé Balthus. Sie beschreibt, wie sie mit dem Shitstorm um eine ihrer Kolumnen in der Welt – nach der das Springer-Blatt die Zusammenarbeit beendete – und der Offenlegung und Vermengung ihrer bürgerlichen Identität mit der Job-Identität umgeht. Oder in einer Reportage-Interview-Bildstrecke mit Müttern, deren Kinder zwangsadoptiert wurden. Oder in einem wütenden Text des Kreuzberger Künstlers und Autors Behzad Karim-Khani, der beschreibt, warum seine aus dem Iran geflüchteten Eltern wieder dahin zurückkehrten. Oder aus der Sichtweise des Wiener Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim, des sächsischen Anwalts und Grünen-Politikers Jürgen Kasek und Autoren des »Finsterwalder Bürgernetzwerks«, die sich unter der Kapitelüberschrift »Angry« mit Rassismus, Neonazis und der langen Geschichte rechter Nachwende-Gewalttaten in Sachsen auseinandersetzen.

Hierzu hat Ruddigkeit, der seine ersten beruflichen Schritte als Fanzine-Macher und Art Director des Stadtmagazins Kreuzer im Nachwende-Leipzig gemacht hat, auch einen eigenen Text beigesteuert. Das Magazin ist ihm eine Herzensangelegenheit – weil es aus seiner Sicht »für den Leser gemacht ist«. Und nicht wie die Magazine der vergangenen Jahrzehnte, für die er auch selbst gearbeitet hat, »zuerst für Anzeigenkunden, Zielgruppen und Nielsen-Gebiete«. Betriebswirtschaftlich, sagt Ruddigkeit, sei das Risiko überschaubar. Die erste Ausgabe von H-O-T startete mit einer Erstauflage von 1.000 Exemplaren. »Das machen Lars und ich immer erstmal so, damit wir ohne Reinreden ein Modell erstellen können«, betont Ruddigkeit. Wichtig ist ihm, dass alle Beteiligten ein »faires Honorar« für ihre Beiträge bekommen sollen. Perspektivisch können sich die H-O-T-Macher vorstellen, zweimal im Jahr eine neue Ausgabe zu produzieren. Dabei gehen sie bestenfalls von bis zu 25.000 Exemplaren für den deutschsprachigen Raum aus, die per Abo, über ausgewählte Buchhändler, Museumsshops, Concept Stores, Festivals oder auch digitale Vertriebspartner vertrieben werden können. Das Auftakt-Heft soll also »auch Referenzobjekt« für potenzielle Investoren sein, sagt Raban Ruddigkeit. Und für die nächste Ausgabe – Schwerpunkt »Körper & Geist« – habe er aus seinem Facebook-Stream schon reichlich Material herausgefiltert.

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GESCHICHTEN AUS DER ZUKUNFT

Von Manuela Pauker, W&V Werben & Verkaufen, 2. Oktober 2019⁠

Das Internet ist groß. So groß, dass man manchen interessanten Geschichten und Bildern vielleicht niemals begegnet. Ein neues Projekt der Berliner Kreativen Raban Ruddigkeit und Lars Harmsen soll nun die Gefahr minimieren, Besonderes zu verpassen: Das Magazin »H-O-T Histories Of Tomorrow« enthält ausschließlich Inhalte aus dem Web, Social Media, Blogs und Podcasts.⁠

»Das Internet ist toll, wenn es um schnelle Information, kurze Reflexe und den galoppierenden Wahnsinn geht«, sagt Ruddigkeit. »In der Tiefe und Länge von Long-Reads oder detailreichen Bildern bleibt bedrucktes Papier jedoch immer noch im Rennen.«

Jede Ausgabe soll unter einem bestimmten Motto stehen. Das Schwerpunktthema der ersten Ausgabe lautet »Spaltung« – »weil es das Thema ist, das derzeit am meisten unter den Nägeln brennt«, so Ruddigkeit. So soll es auch künftig gehandhabt werden – es helfe, aus der schier unübersehbaren Fülle eine Auswahl treffen zu können. Das Copyright der ausgewählten Beiträge ist geklärt, zudem sollen die Autoren künftig an den Verkaufseinnahmen beteiligt werden.⁠

Ob und in welcher Form es weitergeht, ist allerdings offen. Einen Verlag gibt es noch nicht, daher wird die Nullnummer für 9,80 Euro pro Ausgabe über die Co-Founding-Plattform coblisher.com angeboten. »Wir werden das Heft auf jeden Fall in einer kleinen Auflage drucken und im ausgewählten Buchhandel zur Verfügung stellen.« Finanzieren soll sich »H-O-T« nicht nur über den Vertrieb, die Macher sind offen für Werbung. ⁠

Das gilt auch für eine digitale Erweiterung des Magazins – auch wenn Print die Hauptrolle spielt: »Daran arbeiten wir gerade«, so Ruddigkeit. »Mit TikTok ist ja gerade eine neue Plattform entstanden, die Bewegtbild, Musik und Speed verbindet.« In diese Richtung denken er und Harmsen: »Vielleicht auch ein bisschen Podcast, mal schauen …«

INTERNET ZUM BLÄTTERN

Bärbel Unckrich in HORIZONT, 12. September 2019

Das Internet in gedruckter Form: Mit dieser Idee versuchten sich bereits die Macher von archiv/e. Das Kultur- und Lifestyle-Magazin wollte Blog-Inhalten die Chance geben, zum gedruckten Sammlerstück zu werden. Nach nur zwei Ausgaben war allerdings schon wieder Schluss. Jetzt gibt es einen ähnlichen Versuch, initiiert von anderen Akteuren. Die renommierten Gestalter Raban Ruddigkeit und Lars Harmsen stecken hinter »H-O-T Histories Of Tomorrow«, wobei die Initialen auch gleichzeitig für die Attribute heterogen, offen und transmedial stehen. ⁠

Und auch hier stammen die Inhalte des gedruckten Heftes ausschließlich aus dem Internet – bis auf das Cover. Das wurde von Heimat-Designchefin Esra Gülmen gestaltet. Anders als bei archiv/e sind die Macher von H-O-T nicht nur in Blogs fündig geworden, sondern geben ganz unterschiedliche Quellen für das von ihnen kuratierte Heft an. Die Bandbreite reicht von Websites und Blogs über Social Media wie Facebook und Instagram bis hin zu Podcasts. Die erste Ausgabe von H-O-T wird im Oktober zum Preis von 9,80 Euro in einer Erstauflage von 1.000 Exemplaren erscheinen. »Das machen Lars und ich immer erst mal so, damit wir ohne Reinreden ein Modell erstellen können«, erläutert Ruddigkeit den bescheidenen Start. ⁠

Vertrieben wird es anfangs über coblisher.com, später dann auch über slanted.de und ausgewählte Läden. Perspektivisch hofft Ruddigkeit darauf, das Magazin zweimal im Jahr publizieren zu können. Dabei geht er bestenfalls von bis zu 25.000 Exemplaren für den deutschsprachigen Raum aus. Die Erstauflage soll vor allem dazu dienen, weitere Investoren von dem Projekt zu überzeugen, das die beiden Herausgeber bisher noch in Eigenregie stemmen. ⁠

H-O-T HISTORIES OF TOMORROW

Editor: Raban Ruddigkeit, Designer: Lars Harmsen, 100 Seiten, 16 × 24 cm, Softcover mit Klebebindung. Mit Hatice Akyün, Melissa Akyıldız, Salomé Balthus, Ben de Biel, Dirk Büchsenschütz, Ina Busch, Thomas Chudalla, Esther Czaya, Yennifer Dallmann Villa, Finsterwalder, Bürgernetzwerk, Mirna Funk, Peter Glaser, Svetlana Gradetchieva, Katharina Großmann-Hensel, Esra Gülmen, Luetfiye Güzel, Lars Harmsen, Jessica Jurassica, Behzad Karim-Khani, Jürgen Kasek, Guillaume Kashima, Hasnain Kazim, Andrian Kreye, Markus Lange, Michael R. Ludwig, Christian Nürnberger, Alan Posener, Susann Rehlein, Raban Ruddigkeit, Mark Scheppert, Alexandra A Schulz, Kuku Schrapnell, Ralf Schwartz, Johannes Staemmler, Dasa Szekely, Chris Tille, Ingeborg Trampe, Justine Turbine & Ewald Wildtraut.

#baseballschlaegerjahre

Habib war mein bester Freund in der Zeit meiner Kindheit. Unsere Mütter waren Kolleginnen und bekamen uns nur wenige Wochen voneinander entfernt. Nachdem meine Mutter starb, wurde er dann tatsächlich so etwas wie mein Bruder. Habib war der Sohn eines syrischen Medizinstudenten, der Leipzig 1968 dann doch nicht attraktiv genug fand, um nach seinem Studium einem Kind zuliebe in dieser Tristesse zu verbringen. Die Syrer wurden wie viele arabische Völker zu Freiheitshelden stilisiert, wobei man gern unerwähnt ließ, dass deren sogenannter Feind aus den Resten der von den Deutschen eliminierten Juden bestand. Das passte den Kommunisten, die sich so eine saubere, antiimperialistische Legende zurechtlegen konnten.

Und noch viel mehr natürlich den Nazis selbst, die in den Machtzirkeln der proletarischen Diktatur noch immer jede Menge Gewalt innehatten. So befanden sich im letzten Zentralkommitee der SED nach aktuellem Stand der Wissenschaft mehr ehemalige Mitglieder der NSDAP als der KPD. Habib und ich bekamen von alledem wenig mit. Wir spielten erst Cowboy und Indianer, dann Klebstoff und Feuerzeug, wir bastelten unsere eigenen Geldscheine und waren später von den ersten Falco-Kassetten dermaßen fasziniert, dass wir Fotoshootings mit Krawatten und Hemden organisierten, die ihrem Namen alle Schande machten. Eines Nachts sprühten wir im Villenviertel meines Vaters Ton-Steine-Scherben-Sprüche an die Wand und waren tatsächlich ein bisschen gekränkt darüber, nicht verhaftet zu werden.

Habib wurde der erste Punk in seinem Kiez, was damals so viel bedeutete, wie nicht das anzuziehen, was alle anzogen. Nicht die Musik zu hören, die alle hörten. Und vor allem nicht das zu sagen, was alle sagten. Auf den Straßen trieben sich schon die ersten Skinheads herum, aber keinen interessierte es. Habib hatte nur noch die Wohnung seiner Mutter als Zuflucht und wurde immer stiller. Und immer gereizter. Nur manchmal, wenn wir Sonntag nachmittags gintonictrunken durch die Pfützen der Leipziger Innenstadt tanzten, hatten wir ein Gefühl von Lebendigkeit und eine klitzekleine Ahnung davon, dass Freiheit etwas mehr sein könnte als ein Wort an einer Wand. Sofort nach dem Mauerfall verschwand Habib nach Amsterdam, wo es Sachen gab, die er lieben musste. Interessante Drogen, lockere Ladys und Leute, die ihn nicht ständig schräg anschauten.

Im Jahr 1990 kam er noch einmal nach Leipzig zurück. Als es nachts an meiner Tür klingelte, stand ein blutüberströmter junger Mann vor meiner Tür, den ich zuerst gar nicht erkannte. Habib, der immer zu den absolut Coolsten gehörte, sagte nur: »Heute bin ich das letzte Mal in Deutschland.« Eine Bande von Herren-Ossis hatte ihn direkt nach dem Aussteigen auf dem Leipziger Hauptbahnhof halb totgeschlagen. Damals, als es noch keine Shoppingmall war, sondern nichts als ein großes, schwarzes Loch. Wir haben noch eins, zwei Mal versucht, uns zu treffen, aber er ist einfach Stück für Stück verschwunden. Irgendwann habe ich davon gehört, dass er in Asien lebt, doch auch das ist schon lange her. Mittlerweile hat seine Mutter einen Privatdetektiv beauftragt, um ihn zu finden. Die Suche erstreckt sich dabei bis nach Australien und ich weiß wirklich nicht, wo ich ihn finden kann. Nur eines ist sicher — nicht in seiner Heimatstadt Leipzig.

Text von Raban Ruddigkeit,
aus H-O-T Histories Of Tomorrow,
first published on facebook,
@h_o_t_online